Spätestens seit es im Juli diesen Jahres einem Einheimischen geglückt ist, einen Wolf im Darßwald vor die Linse zu kriegen, ist der Wolf in aller Munde. Eigentlich wundern uns nur zwei Dinge daran: Warum hat es eigentlich so lange gedauert, dass der Wolf erst jetzt hier aufgetaucht ist? Schließlich leben offiziell 24 der bundesweit 46 Wolfsrudel in Brandenburg. Quasi einen Katzensprung von uns entfernt. Und woher kommt noch immer die Angst vorm bösen Wolf? Denn seit einem gemeinsamen Abendessen ist klar, dass das Pelztier auch in unserem Freundeskreis für höchst emotionale Debatten sorgt. Auch wenn die Blickwinkel einer Jägerstochter, einer Biologin, eines Agrarökologen, einer Vegetarierin und einer Mutter beim Thema Wolf durchaus verschieden sind,  so verbindet uns doch eigentlich das gleiche: ein aufgeklärter Verstand und die Liebe zur Natur.

Wolf im Wald

Natur ja, aber bitte nicht zu viel davon

Dennoch kommen vermehrt bei Einheimischen und Urlaubern Sorgen auf, ob man sich als Wanderer, Radfahrer oder mit seinem Kind noch unbeschwert im Wald bewegen könne. Denn mit der möglichen Existenz eines Wolfes, von dem man nicht mal weiß, ob er sich noch in unseren Wäldern aufhält oder ob er auf seiner Wanderung falsch abgebogen ist, lassen abenteuerliche Geschichten und Gerüchte nicht lange auf sich warten. Und irgendwie schwingt bei vielen Gesprächen latent mit, dass Wildtiere ja schön sind, aber bitte nicht bei uns. Da stellt sich uns die Frage: und was nun? Schließlich haben wir den Nationalpark vor der Haustür. Wo, wenn nicht in unseren Nationalparks, kann sich also noch ein intaktes Ökosystem entwickeln, indem Räuber und Beute gleichermaßen das Recht zum Leben haben? Dennoch, der Gedanke an ein größeres Raubtier in unseren Wäldern ist für viele ein Grund zur Angst.

Nationalpark Darßer Ort

Ein Baum ist da schon bedrohlicher

„Die Gefahr, von einem Ast im Wald erschlagen zu werden, ist hunderte Male höher, als vom Wolf angefallen zu werden“, so Ulrich Wotschikowsky. Und wenn einer weiß wovon er redet, dann der Wolfsberater und Wildbiologe. Der gebürtige Brandenburger war 17 Jahre für die Wildbiologische Gesellschaft München tätig. Seine Steckenpferde: jagdbares Wild und die großen Predatoren Wolf und Luchs. Auch in Ländern wie China, Chile, Georgien, Tadschikistan, Italien und Österreich arbeitete der studierte Förster als Berater für das Wildtiermanagement. Im Yukon verbrachte „Wotsch“ zwei Monate im Wolfsprojekt Finlayson. Darüber hinaus hat er Forschungsprojekte, Schutzgebiete und Nationalparks auf der ganzen Welt besucht – dreimal war er allein im Yellowstone. Wir möchten unseren Lesern, Urlaubern und Einheimischen mögliche Bedenken nehmen und haben Ulrich Wotschikowsky gefragt, was denn nun dran ist, am Märchen vom bösen Wolf?

Dass sich Wölfe in Mecklenburg Vorpommern angesiedelt haben, wissen wir seit 2014. Im Juli 2017 kam der Beweis von einem Wolf im Darßwald dazu. Wie schätzen Sie die Entwicklung bzw. Ansiedlung von Wölfen in unserer Region ein?

Das ist ein bisschen wie Kaffeesatz lesen. Ich glaube nicht, dass sich in dieser eher waldarmen Gegend ein Rudel bilden wird. Wölfe werden gelegentlich dort vorbeikommen und wieder verschwinden.

Welche Bedingungen brauchen Wölfe, um sich zu vermehren? 

Genügend wilde Beutetiere – davon haben sie überall mehr als genug. Aber sie wollen auch ungestört sein, wenn sie ihre Welpen aufziehen. Also: Wald, und zwar satt, nicht nur ein Feldgehölz oder ein paar Hektar. Und von solchen großräumigen Wäldern gibt es nicht viele hier im Norden der Republik.

Unsere Halbinsel Fischland-Darß-Zingst ist eine beliebte Tourismusregion. Müssen sich Urlauber und Einheimische Sorgen machen, wenn Sie durch die Wälder des Nationalparks wandern oder radeln? 

Wenn sie bei Wind oder gar Sturm dort wandern – ja. Denn da kann einem ein Ast auf den Kopf fallen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist hunderte Male größer, als von einem Wolf gebissen zu werden.

Wie verhält man sich korrekt, wenn man einem Wolf begegnet, ob allein, mit Kindern oder mit Hund?

Gar nicht – will heißen: Schauen Sie dem Tier einfach zu. Wenn Sie einen Hund dabei haben, ist er sowieso angeleint – oder? Wenn nicht – rufen sie ihn zu sich her. Dann wird der Wolf gleich verschwinden. Wenn Sie Angst haben (und dagegen kann man nichts machen) – dann fangen Sie in Gottes Namen an zu schreien, Steine und Stöcke zu schmeißen, mit dem Fuß aufzustampfen. Aber notwendig ist das nicht.

Sehen Sie eine ernsthafte Bedrohung für die Landwirte in unserer Region? Welche Schutzmaßnahmen können für die Weidetiere aktuell getroffen werden?

Eine „ernsthafte Bedrohung“ der Landwirte haben wir schon seit Jahrzehnten, nämlich durch eine Agrarpolitik, die die Massentierhaltung fördert und die kleinen Betriebe allein lässt. Weidetiere können gegen Wölfe geschützt werden – aber da muss die Gesellschaft, sprich „der Staat“ oder das Land zuschießen. Das funktioniert, es gibt reichlich gute Beispiele dafür.

Der Wolf besitzt in Deutschland „noch“ den höchstmöglichen Schutzstatus. Gegner gehen allerdings massiv dagegen an. Vor allem Jäger und Bauern fordern Abschussquoten. Wie stehen Sie zu dem Thema?

Kaum sind die Wölfe zurück – schon denken manche Leute ans Schießen. Gott sei Dank ist die Zeit vorbei, da man meinte, solche Konflikte mit Pulver und Blei lösen zu können. Erstmal müssen die Hausaufgaben gemacht werden – und das heißt: Die Weidetiere müssen gut geschützt werden. Überall, wo Wölfe auftreten. Mit dem Abschuss von Wölfen ist niemandem geholfen – denn ein Rudel von acht Tieren, dem vier weggeschossen worden sind, richtet den gleichen Schaden an. Und die Jäger haben erst recht keinen Grund zum Klagen, denn wir haben mehr Wild als je zuvor.

Butter bei die Fische: Sind Wölfe für den Menschen gefährlich? Und wenn nein, woher kommen all die negativen Vorwürfe gegenüber dem Wolf?

Wölfe sind für Menschen nicht gefährlich. Wir haben derzeit etwa 12.000 Wölfe in Europa, alle leben in Kulturlandschaften, alle begegnen Menschen, und zwar oft – und nichts passiert! Die Vorurteile kommen aus einer lange zurück liegenden Vergangenheit. Da hatten wir noch die Tollwut – eine fürchterliche Bedrohung. Und es gab zwar viele Wölfe, aber nur sehr wenige wilde Beutetiere wie Rehe oder Hirsche. Aber dafür waren die Wälder und Felder voll von Schafen. Wölfe waren damals, vor mehreren hundert Jahren, eine wirkliche Plage.

Wir sehen den Wolf als einen echten Zugewinn für den Nationalpark und seine Artenvielfalt. Wie kann man einen Wolfsgegner davon überzeugen?

Die echten Wolfsgegner werden Wölfe nie akzeptieren. Da ist alle Mühe vergebens. Aber es gibt eine große Zahl von Menschen, die zwischen Ja und Nein schwanken. Hier kann mit guter, objektiver Information viel erreicht werden. Nicht mit Wolfshätschelei – Wölfe sind Ernst zunehmen, sie stellen uns vor große Herausforderungen, daran darf man nicht vorbei reden.

Sie sind Wildbiologe und seit vielen Jahren führender Wolfsexperte in Deutschland: Was fasziniert Sie an den Tieren?

Als ich im kanadischen Yukon mal ein paar Monate an einem Forschungsprojekt über Wölfe teilnehmen durfte und erstmals einen Wolf anfasste, den wir vom Hubschrauber aus mit einem Narkoseschuss betäubt hatten – da haben sich bei mir alle Haare aufgestellt. Wölfe haben ein besonderes Charisma, daran geht kein Weg vorbei.

Wir sagen vielen Dank für das Interview!

Wenn ihr mehr über die Wölfe in Deutschland und die Arbeit von Ulrich Wotschikowsky erfahren wollt, besucht doch mal sein Online-Forum „Wolf Site“. Auch wenn in unserer Region sicherlich keine große Eile  geboten ist – für eine sachliche Aufklärung ist es nie zu früh.

Wotsch Yellowstone

©Ulrich Wotschikowsky – Yellowstone

Gemeinsamer Konsens für Wolf und Menschen

Eine über 150 Jahre ausgerottete Spezies erobert sich auf leisen Sohlen seinen Lebensraum zurück. Was für den Menschen unproblematisch ist, sieht für das Weidevieh schon anders aus. Deshalb verstehen wir den Unmut vieler Bauern. Allerdings ist hier die Politik gefragt. Managementpläne für den Wolf, unbürokratische Entschädigungen und finanzielle Unterstützungen für Elektrozäune und Herdenschutzhunde sollten deshalb in allen Bundesländern festgeschrieben werden. Keine Frage, es geht nicht darum, das Thema Wolf zu romantisieren. Wir möchten lediglich eine ehrliche Antwort auf die Frage liefern: Ob wir Menschen, die lieber selbst an der Spitze der Nahrungskette stehen, als Rotkäppchen zu spielen, Angst vorm Wolf haben müssen? Und die lautet, solange wir den Wolf als einen Teil unserer Natur zu akzeptieren, ganz klar nein.

Wolf

©pixabay

Wolf hält Ökosystem im Gleichgewicht

Welche positiven Effekte Wölfe auf das Ökosystem haben, zeigt die Wiederansiedlung der Tiere im Yellowstone Nationalpark. Innerhalb weniger Jahre gelang es, die durch die Wapiti-Hirsche und Elche zerstörte Vegetation, zu regenerieren. Der mittlerweile über 38 Mio. Mal aufgerufene Kurzfilm „How Wolves Change Rivers“, verdeutlicht einmal mehr, welch weitreichende Konsequenzen der Wolf auf das biologische Gleichgewicht hat. Wohlwissend, dass der Yellowstone nicht mit dem Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft vergleichbar ist.

Yellowstone Nationalpark

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Ulrich Wotschikowsky für seine Expertise und Zeit. Hoffentlich konnten wir zu dem Thema einen positiven Beitrag leisten. Ihr dürft gern kommentieren.