Ein Leben mit Naturgewalten braucht Küstenschutz

Unermüdlich prallen Wind und Wellen auf die Küsten von Fischland-Darß-Zingst. Besonders die Steilküste in Ahrenshoop ist von den Erosionen durch die Naturgewalten betroffen. Immer wieder kommt es hier zu Abbrüchen. Wir haben mit Dr. Lars Tiepolt (Dezernatsgruppenleiter beim Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt Mittleres Mecklenburg, kurz StALU MM) gesprochen und gefragt, wie es um unseren Küstenschutz steht.

Wellenbrecher Ahrenshoop

Wellen prallen bei Sturm mit aller Gewalt gegen den schützenden Steinwall

Herr Dr. Tiepolt, bitte charakterisieren Sie uns kurz die Ostseeküste von Mecklenburg Vorpommern ?

Die Küste Mecklenburg-Vorpommerns hat eine Gesamtlänge von 1945 Kilometern. Sie ist infolge der grundlegenden eiszeitlichen Prägung stark gegliedert. Seit gut 10.000 Jahren führen anhaltende, hydrodynamische und geomorphologische Küstenausgleichsprozesse zur Entstehung der breiten Flachküsten aus den angrenzenden Steiluferbereichen mit einer weitgehenden Abriegelung der flachen Bodden- und Haffgewässer von der Ostsee. Insbesondere die Außenküste (377 km Länge) weist mit ihrem häufigen Wechsel von Steilküsten (140 km) und Flachküsten (237 km) eine hohe Dynamik auf. Die durchschnittliche jährliche Abtragsrate beträgt im Schnitt 35 cm. Für den Bereich Ahrenshoop-Westdarß liegen die jährlichen Rückgangsraten zwischen 50 cm und bis zu 1,70 m.

Sommertreppe Steilküste

Sommertreppe an der Steilküste zwischen Ahrenshoop und Wustrow

Steilküste Wustrow

Bis zu 1,70 m beträgt die Abtragungsrate jährlich in Ahrenshoop. Der Normalwert liegt bei 35 cm.

Immer wieder kommt es zu Abbrüchen an der Steilküste. Wie beschreiben Sie den Zustand?

Die Steilküste zwischen Ahrenshoop und Wustrow ist aktiv. Das ist deutlich daran erkennbar, dass kaum Bewuchs an der Kliffböschung zu finden ist und es am Strand entweder Auskolkungen oder Sedimentanhäufungen im Klifffuß gibt. Dabei führt nicht nur der Einfluss der marinen Kräfte der Ostsee zur Erosion der Küste bei, sondern auch Prozesse im Boden der Steilküste selbst, wie beispielsweise Frost- und Tauwechsel, Niederschläge oder Abflüsse. Mit dem Bau der Wellenbrecher in Wustrow und Ahrenshoop Mitte der 80er Jahre wurden die Bereiche der Ortslagen festgelegt und geschützt. Der dazwischenliegende Steiluferbereich unterliegt weiterhin natürlichen Abtragsprozessen.

Bunker im Wasser vor Wustrow

Erst letztes Jahr wurde die Düne am Vordarß durch Sandaufspülungen verstärkt. Wie lange halten solche Maßnahmen?

Der Flachküstenabschnitt nördlich von Ahrenshoop und am Westdarß unterliegt ebenfalls dem Prozess des Küstenrückgangs. In Folge einer Sturmflut kommt es zu Umlagerungen aus der Düne in den Strand und ufernahen Flachwasserbereich. Durch die zuständige Küstenschutzbehörde ist nach jeder Sturmflut zu bestimmen, wann eine Düne soweit aufgezehrt ist, dass sie ihre Funktion nicht mehr erfüllen kann. Wird festgestellt, dass nicht mehr die Dimensionen zur Kehrung einer kommenden Sturmflut bestehen, muss kurzfristig wieder aufgespült werden. Während vor Boltenhagen die letzte Aufspülung vor mehr als 15 Jahren stattfand, sind die Dünen vor Ahrenshoop circa alle fünf Jahre zu verstärken. Wobei die Lagestabilität einer Düne in Verbindung mit dem Einsatz von Buhnen um vier bis sieben Jahre verlängern werden kann.

Küstenschutz Darßer Ort

Kampf gegen die Versandung des Nothafens am Darßer Ort

Welche Methoden gibt es, um eine nachhaltige Sicherung der Küsten zu gewährleisten?

Sandige Flachküsten sind in der Regel durch Landesküstenschutzdünen geschützt, oft in Kombination mit Buhnen und/oder dahinter liegenden Deichen. Küstenabschnitte, insbesondere Steilküsten, die nicht bebaut sind, dienen als Sedimentlieferanten für die benachbarten Flachküsten. Eine Festlegung dieser Küstenabschnitte hätte erhebliche negative Folgen für die gesamte Küstenentwicklung.

Blick von der Steilküste Ahrenshoop

Sommertreppe

Welche Gefahren sind möglich, wenn Küstenschutz nicht oder nicht ausreichend getroffen werden?

Potenziell sind 1.080 km² der küstennahen Landesfläche von Mecklenburg Vorpommern bei einer Sturmflut mit 200-jährlichem Wiederkehrintervall gefährdet, wenn es nicht den bestehenden Küstenschutz geben würde. Die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst würde dabei fast vollständig überflutet. Die negativen Auswirkungen auf die innere Festlandsküste mit den Städten Ribnitz-Damgarten und Barth und auf die vielen Ortslagen an den Boddengewässern wären verheerend.

Holzbuhnen dienen als Wellenbrecher

Holzbuhnen dienen bei Sturm dem Küstenschutz

Was können Einheimische wie Urlauber für den Küstenschutz tun? Was muss beachtet werden, wenn man sich in (Steil)Küstennähe befinden?

Besucher sollte sich der „Geogefahren“ bewusst sein. Dass heißt, die direkte Nähe auf und neben Steilküstenhängen meiden – insbesondere im Winterhalbjahr, bei Niederschlägen oder bei höheren Wasserständen. Denn unvorhersehbare Abbrüche sind jederzeit möglich. Außerdem sind Dünen, Deiche und Buhnen Küstenschutzanlagen und dürfen nicht betreten werden. Ausnahmen sind gekennzeichnete Wege. Beim Baden in Flachküstenabschnitten mit vorgelagerten Buhnen ist besondere Achtsamkeit gegeben, da hier gefährliche Strömungssituationen oder Kolke zur Gefahr werden können.

Warnschild Steilküste

Spaziergänger beim Mißachten der Warnschilder. Leider kommt das immer wieder vor.

Werfen Sie für uns einen Blick in die Glaskugel. Gibt es Fischland-Darß-Zingst in 50 Jahren noch?

Die küstendynamische Entwicklung wird weiter zu Veränderungen an den Uferlinienbereichen führen. Akkumulationsgebiete wie der Darßer Ort werden weiter wachsen. An Rückgangsküsten werden weiter Sedimentverluste zu verzeichnen sein, durch menschliche Einflussnahme aber in weit geringerem Maße als heute. Möglicherweise werden Ortslagen mit ufernaher Bebauung ihr Aussehen und ihre Struktur verändern. Gefährdete Bereiche müssen eventuell aufgegeben werden und dafür sicherere Bereiche entwickelt werden. Dennoch: Dem Küstenschutz als Landesaufgabe stehen auch in den nächsten 50 Jahren genügend Ressourcen zur Verfügung, um das gesamte Erscheinungsbild des Fischland-Darß-Zingst, als einen bedeutenden Lebens-, Wirtschafts- und Naturraum, zu erhalten.

Luftaufnahme Steilküste wzischen Ahrenshoop und Wustrow

©Dr. Lars Tiepolt

Sie sind Dezernatsgruppenleiter beim StALU MM. Worin besteht Ihre Arbeit?

Die Dezernatsgruppe Küste des StALU MM hat die Aufgabe, zentral für das Land Mecklenburg-Vorpommern die Grundlagendaten zur Charakterisierung der Küste zu erheben, Monitoringprogramme durchzuführen und geeignete Werkzeuge für behördliche, kommunale und planerische Anwender aufzubauen und zu pflegen. Neben der Bereitstellung aller dieser Daten ist die tatsächliche Planung von Küstenschutzbauwerken, insbesondere von Buhnen, Dünen und Deichen eine landesweite Aufgabe. Dazu kommen Tätigkeiten der fachtechnischen Prüfung, wo Küstenschutzvorhaben des Landes oder Vorhaben Dritter im unmittelbaren Küstenbereich auf deren Zulässigkeit gemäß Landeswassergesetz bewertet werden.

Dr. Lars Tiepolt

Wir bedanken uns für das Interview und die spektakulären Luftaufnahmen bei Dr. Lars Tiepolt. Wer auch Intresse an so schönen Fotografien hat, kann diese gern auf der Website des Dezernatsleiters erwerben. Wir halten den Küstenschutz für ein enorm wichtiges Thema – besonders in Zeiten des Klimawandels. Deshalb bitten wir alle um einen sensiblen Umgang mit den einzigartigen Naturschönheiten unserer Halbinsel.